Foto: Willi Lehnert
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"Die Menschen haben eine große Sehnsucht, die Ernährungs- und Agrarwende selber voranzutreiben."
Anja Hradetzky / Stolzenhagen, Barnim
Ein Cowgirl in Brandenburg
Schon als kleines Mädchen ist Anja Hradetzky ein Naturkind. Aufgewachsen im ländlichen Sachsen, in einem kleinen Dorf südlich von Chemnitz umgibt sie sich gerne mit Tieren, lernt von ihrer Urgroßmutter – einer Selbstversorgerin – Pflanzen zu bestimmen.
Ihr heutiger Ehemann Janusz wächst auf einem Hof auf. Beste Voraussetzungen also, um selbst in die Landwirtschaft einzusteigen. Sie studieren gemeinsam in Eberswalde Ökoland Bau und Vermarktung, gehen ein paar Jahre ins Ausland, übernehmen verantwortungsvolle Aufgaben auf Höfen. Sie versuchen herauszufinden, welche Art von Landwirtschaft sie interessiert. Anjas Leidenschaft, mit Pferden Rinder zu treiben, lebt sie in Kanada als Cowgirl aus. Zurück in Deutschland arbeitet Anja als Herdenmanagerin in Wittstock.
Foto: Anja Hradetzky
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Foto: Anja Hradetzky
Foto: Anja Hradetzky
Foto: Anja Hradetzky
Wie ich ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde*
Die Idee, einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb zu gründen, wächst – obwohl die beiden weder Land noch Tiere, geschweige denn Kapital besitzen. Das erste Kind ist auch schon da. Sie versuchen es auf alternativem Wege, mit dem Aufbau eines Crowdfundings über den Verkauf von Kuhanteilen, Privatdarlehen. Sie haben klare Vorstellungen, wie ihr Hof sein soll. Beispielsweise sollen die Kälber nicht von den Kühen getrennt werden, sondern direkt aus dem Euter trinken, die Kühe werden vorher von den Bullen gedeckt, das Vieh kann immer auf der Weide sein, alte Rassen – keine Hochleistungstiere – werden gezüchtet ebenso wie altes Saatgut angebaut. Soviel Wertschöpfung im eigenen Betrieb zu halten wie möglich, ist ein weiterer Ansatz. Z.B. veredelt das Paar seine Landmilch selber und verarbeitet sie in der eigens gebauten Käserei. „Wesensgemäße Milchviehhaltung auf Naturschutzflächen, Hofkäserei und Direktvermarktung“ heißt das dann!
Bei den Menschen spüren sie eine große Sehnsucht, die Ernährungs- und Agrarwende zu unterstützen und mit voranzutreiben. So sammeln sie in nur sechs Wochen ein Startkapital von 50.000 Euro zusammen. Überwältigt von dem Erfolg verstehen sie, dass sie diese Chance ergreifen müssen. Ein großes Problem allerdings für junge Landwirte und für eher kleine bäuerliche Betriebe sind die Flächen, bzw. die nicht vorhandenen Flächen und die nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Förderung. Die EU-Förderung geht nach Größe der bewirtschafteten Ländereien. Je mehr Land, desto großzügiger. Das bedeutet de facto eine Förderung von großen industriell ausgerichteten Höfen. Es gibt zwar inzwischen auch eine Junglandwirte-Förderung, die geht aber bei „zweimal Diesel tanken drauf“.
Aber sie bleiben beharrlich: wenn du einen Traum hast, musst du daran glauben und häufig drüberreden, das ist Anjas Devise. Ihnen gelingt es, von Naturschutzorganisationen im Nationalpark Unteres Odertal Flächen zu pachten. Janusz kauft die ersten Braunviehkühe in Süddeutschland, und sie starten 2015. Inzwischen ist die Herde auf 140 Vieh angewachsen, 30 davon werden gemolken.Ob es höheren Mächten zuzuschreiben ist, immer wenn es „krass knapp“ wird, kommt es zu einer guten Wendung.
Foto: Anja Hradetzky
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Foto: Sophie Reinhard
Foto: Sophie Reinhard
Einen typischen Tag gibt es hier draußen nicht
Anja beschreibt einen typischen Tag, wobei sie anmerkt, dass es den eigentlich nicht gibt. Kälber halten sich nicht an Zeitpläne, kommen eher zur Welt, oder die freilaufenden Rinder machen sich aus dem Staub. Das Wetter ist auch ein unkontrollierbarer Partner, und dann sind da ja noch die beiden Kinder. Wir begreifen schnell, dass Leben auf dem Land das Eine ist, aber diese Art von Arbeiten auf und mit dem Land etwas ganz anderes. Das ist hart und fordert ziemlich viel.
Aber für Anja ist es auch so erfüllend, dass sie trotz der Strapazen nicht tauschen möchte. Ist es anstrengend, mit dem Lebenspartner auch noch die Arbeit zu teilen? Oh ja, sagt Anja. Wir schreien uns durchaus zwischendurch auch an, aber wenn wir ganz unerwartet noch schnell ein Kalb zur Welt bringen müssen, erleben wir mitten im Schlamm auch die beglückendsten Momente gemeinsam. Wo findest du so etwas noch? Sie rät jedem Paar, das plant in die Landwirtschaft zu gehen, es gemeinsam zu tun. Nur, wenn man selber hautnah erlebt, wieviel Einsatz die Arbeit benötigt, bringt man das nötige Verständnis für den anderen auf. Aber es sei wichtig, bei solch einer permanent herausfordernden Arbeit, immer gut auf sich selbst zu achten, sich zwischendurch Auszeiten zu gönnen.
Lernen über seine Vision zu reden
Und Arbeitsteilung ist wichtig. Sie beispielsweise steht lieber in der Öffentlichkeit, er verhandelt dafür die Verträge. Gerade für kleine ökologische Betriebe sei es wichtig, deren Ideen und Tun sichtbar zu machen, immer daran zu arbeiten, die Gruppe der Unterstützer*innen zu vergrößern. Eine Fähigkeit, davon ist Anja Hradetzky überzeugt, die sich trainieren lässt. Ansonsten hat sie den Tipp, sich jemanden vielleicht aus dem Kundenkreis zu suchen, der diese Arbeit übernimmt. Wenn Höfe mit Direktvermarktung arbeiten, ist es um so existenzieller, den Kund*innenstamm zu erweitern.
Um wirklich den Umbau der Agrarwirtschaft voranzutreiben, braucht es allerdings tiefgreifende politische Veränderung. Eine einflussreiche Lobby für ökologische Landwirtschaft gäbe es aber noch nicht. Deshalb sei es notwendig, eigene Netzwerkstrukturen aufzubauen. So hat das Ehepaar Hradetzky auch das Bündnis Junge Landwirtschaft mitgegründet, um auf ihre Interessen aufmerksam zu machen, deutlich aufzuzeigen, was ihre Interessen mit denen der Gesellschaft zu tun haben. Zugleich bauen sie damit aber eine eigene Beratung, ein eigenes Mentorenprogramm auf. Sie hat den Eindruck, sie können nicht auf externe Hilfen warten. Politische Veränderungsprozesse – vor allem auf EU-Ebene – dauern viel zu lange. Sie sieht sich als Teil einer neuen „Generation Aufbruch“.
Foto: Anja Hradetzky
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Foto: Anja Hradetzky
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Foto: Anja Hradetzky
Herausforderungen in der ökologischen Landwirtschaft
Wenn Anja Hradetzky noch einmal zusammenfasst, was sie manchmal schier zum Verzweifeln bringt, wächst unser Respekt für die Arbeit, die sie und ihr Mann tagtäglich leisten. Da sind z.B. obskure Verwaltungsauflagen, die das freie Trinken der Kälber am Euter der Kühe hinterfragen.
Kapitalbeschaffung ist ein ganz großer Stolperstein. Die Landwirtschaft ist ein risikoanfälliger Investitionszweig, deshalb gibt es für Jungbauern so gut wie keine günstigen Kredite. Wenn durch Landgrabbing nur noch Pacht möglich ist, die Entwicklung des Betriebes möglicherweise nach fünf Jahren wieder beendet ist, ist eine mittelfristige Planung sehr schwierig. Mit der Natur auf solch eine intensive Art zu arbeiten, wie z.B. das Paar Hradetzky es tut, davon haben sich viele schon abgewandt. Aber die beiden haben einen unbändigen Optimismus, der sie wachsen lässt.
Dörfliche Gemeinschaft
In ihrem Dorf in Stolzenhagen sind sie auf eine relativ offene Gemeinschaft gestoßen. Auch die Einheimischen haben begriffen, dass Zugezogene durchaus auch Infrastruktur schaffen können. Sie ist überzeugt, dass eigentlich jedes Dorf einen Hof braucht – das sei gut für die Belebung. Und ansonsten versuche sie immer zu signalisieren, dass sie offen ist für Gespräche. Wenn man unterstelle, dass niemand dem anderen etwas Schlechtes wolle, ginge da immer etwas. Allerdings habe sie auch eine große Bitte an die immer mehr werdenden Stadtfliehenden: sie sollen sich aktiver in das Dorfleben einbringen, sich nicht nur auf ihr Wochenendhäuschen zurückziehen, sondern auch etwas für den Wirtschaftskreislauf vor Ort tun. Z.B. in dem sie nicht ihre Lebensmittel aus Berlin mitbringen, sondern in der Region einkaufen.
Visionen
Gefragt nach ihren Visionen träumt sie für sich von einem gänzlichen ökologischen Brandenburg: „Bis 2050 ist das Land bio!“ Persönlich wünscht sie sich und ihrer Familie einen eigenen Hof, von dem sie niemand mehr vertreiben kann. Das wünschen wir ihr auch.

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