© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V. , Foto: Nada Quenzel
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"Ich finde es wichtig, dass man die Menschen, die hier ihr Brot in der Kohle verdient haben, zu Botschaftern der Region macht."
Kathrin Winkler / Lausitzer Seenlandschaft
Vom Reiz des Unfertigen
Wenn wir an ländliche Regionen denken, haben wir meist keine Tagebaulandschaften im Sinn. Das macht unser Gespräch mit Kathrin Winkler, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Lausitzer Seenland umso spannender.
Geografisch 100 Kilometer südlich von Berlin, 50 Kilometer nordöstlich von Dresden gelegen, liegt das Seenland im Dreieck zwischen Luckau im Nordwesten, Cottbus im Nordosten Brandenburgs und Görlitz im Südosten Sachsens. Jahrzehntelang vom Tagebau geprägt. Eine Region im Wandel, hier entsteht Europas größte künstliche Landschaft: das Lausitzer Seenland.
Jedes Jahr anders
Der Bergbau prägt das Landschaftsgebiet: „hier liegt kein Sandkorn mehr auf dem anderen“. Mit dem Stilllegen und dem Fluten der Tagebaue entstehen über 20 Seen. Winkler spricht von „Zwischenlandschaften“, die sich gestalten, verändern und so nie wieder sein werden. Dies mitzuverfolgen, ist ein einmaliges Erlebnis.
Allein die Flutung ist ein gigantisches Unterfangen. Das Wasser speist sich aus Regenwasser, aus dem nicht mehr abgepumpten Grundwasser und aus Flüssen wie der Spree, Elster, Neiße. Wasserknappheit, ausgetrocknete Böden, niedriger Wasserstand der Flüsse – das kommt uns alles in den Sinn. Ja, gibt sie zu, durchaus ein Problem – damit verzögert sich die Fertigstellung. Immerhin sind aber schon 13 Seen nutzbar. Eine weitere große Anstrengung: die Aufbereitung des Wassers. Da aufgrund des Bergbaus viele Erdschichten abgetragen sind, die das Grundwasser normalerweise neutralisieren, ist der PH-Wert zu hoch. Ungefährlich: aber es führt zu einem Britzeln auf der Haut.
© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V., Foto: Peter Radke
© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V., Foto: Peter Radke
© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V.
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© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V., Foto: Hans-Peter Berwig
© Tourismusverband Lausitzer Seenland e.V., Foto: Hans-Peter Berwig
Etwas Unfertiges verkaufen
Ist es nicht schwierig, etwas Unfertiges und Künstliches zu verkaufen? Im Gegenteil sagt die Vollblut-Touristikerin. „Genau das ist ja das Tolle und Einzigartige“, entgegnet sie. Jedes Jahr gibt es Veränderungen, Neuigkeiten, es braucht ständig neue Landschaftskarten. Das ist auch das Reizvolle für die Gäste. Weniger die Seen stehen im Mittelpunkt als mehr der Wandel der ländlichen Region. Heute noch mit dem Jeep durch die ehemalige Grube, in 10 Jahren vielleicht mit dem Boot drüberfahren.
Betrachtet man nur die Seenlandschaften, hat sie die größte Konkurrenz vor der Haustür: Brandenburg mit seinen über 3.000 Gewässern. Deshalb sei es wichtig, das Künstliche besonders zu betonen. Sie gibt uns ein Beispiel: um welchen natürlichen See kann man schon mit dem Fahrrad komplett herumfahren, ohne den Blick auf den See zu verlieren? Hier in der Region werden Arbeitsstraßen in ein top-ausgebautes Radwegenetz umgewandelt. Interessante Perspektive.
Die Rauheit der Lausitz
Kathrin Winkler ist in der Region, auf der anderen Seite des Senftenberger Sees aufgewachsen. Uns interessiert, was sie als vielgereiste Touristikerin unter „Heimat“ versteht. Ist sie nicht vielmehr in der Welt zuhause? Japan, Neu-Guinea, Chile – sie hat Einiges gesehen. Dennoch zieht es sie immer wieder zurück zu der „Rauheit der Lausitzer“: „sehr rau, mürrisch vielleicht – aber wenn man sie geknackt hat, sind sie liebevoll“. Solltet ihr also hierher reisen wollen, bringt Zeit mit! Ja, das mit der Gastfreundschaft und dem Servicegedanken müssen die Lausitzer auf der brandenburgischen Seite noch lernen, gibt sie zu. Die Sachsen seien da viel entspannter, aber eben auch viel geübter im Tourismus. Die Mentalität des stolzen Bergmannes ist auf „ihrer Seite“ noch sehr ausgeprägt. Der Wandel im Kopf braucht eben Zeit.
© brandenburg.land
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Vom Bergmann zum Seemann
Kathrin Winklers Heimvorteil hat auch damit zu tun, dass sie selbst im Bergbau gearbeitet hat. Vor ihrem Studium der Bergbau-Ökonomie muss sie – wie üblich zu DDR-Zeiten – ein berufliches Jahr absolvieren. Sie arbeitet in der Entwässerung des Tagebaus: „ein Traumjob“, sagt sie. Mit einem Eimer, einer Stoppuhr und ihrem Fahrrad fährt sie für die Kontrolle von Pumpe zu Pumpe. Wenn sie schnell ist, kann sie sich am Nachmittag mit einem Buch in die Sonne legen. Nach ihrem Studium wechselt sie in die Planung/Abrechnung. Mit der Wende entsteht ein neues Segment, die Reklamation. Hier lernt sie Kundenservice, Verhandlungstaktiken: besuchen wir den Kunden mit dem Ost- oder dem West-Auto, wer führt die Gespräche: die junge oder die ältere Kollegin … und zum Abschluss ein Schnäpschen mit den gestandenen Kohlehändlern.
Bevor sie dem Sozialabbau zum Opfer fällt, studiert sie noch einmal. Marketing, Eventmanagement, IHK-Abschluss zur Tourismusfachwirtin. Zurück in der Heimat beginnt die Laufbahn im Tourismus. Die Verbundenheit zur Geschichte der Region ist ihr persönlich wichtig. Aber ebenso sei es elementar, die Menschen, die ihr Brot mit der Kohle verdient haben, zu Botschaftern der Region und ihres Wandels zu machen. So ist der touristische Claim „Vom Bergmann zum Seemann“ entstanden. Ehemalige Bergleute werden zu Gästeführern, erzählen ihre Geschichten. Sie sieht die Aufgabe des Tourismusverbandes in der Vermittlung zwischen dem Innen – der Bevölkerung – und dem Außen – den Gästen, der Politik. Auch die nachwachsende Generation muss sich noch in 20 Jahren erinnern können, wo die Region herkommt.
© brandenburg.land
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Identität kann nicht politisch verordnet werden
Der Wandel der ländlichen Region muss auch zu einem Wandel in den Köpfen führen. Dafür braucht es Klarheit, was diese Region ausmachen soll, wie Identität entwickelt werden kann. Winkler ist hier sehr deutlich: es darf nicht einfach nur platt saniert werden. Ankerpunkte, die an die Geschichte erinnern wie der Aussichtsturm Rostiger Nagel, sind wichtig. Vor allem eine durchdachte Landschaftsgestaltung, die beispielsweise mit architektonischen Akzenten Profil entwickelt. Identität kann nicht politisch verordnet werden. Genau das versucht Politik aber gerade, indem es das Label „Lausitz“ über eine geografische Region stülpen will, die von Königs-Wusterhausen bei Berlin bis nach Zittau zur tschechischen Grenze verläuft. Das wird sich nicht durchsetzen, ist Kathrin Winkler überzeugt. Welcher Spreewälder legt seine Identität ab und nennt sich fortan Lausitzer? Der Strukturwandel ist klar mit dem Tagebau verbunden – warum fließen Gelder in Regionen, die damit nichts zu tun haben?
Winkler und ihr Team sind mit ihrer grenzüberschreitenden Arbeit erfolgreich und anerkannt. Sie sitzt in vielen wesentlichen Gremien und kann sich – so hoffen wir – Gehör verschaffen mit ihrer Haltung.
Gefragt nach ihrer Vision für das Lausitzer Seenland aber auch für Brandenburg insgesamt wünscht sie sich mehr Stolz und Selbstbewusstsein.
Vielen Dank für das Gespräch.

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