© brandenburg.land
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"es nützt ja herzlich wenig, wenn ich immer nur sage, ich find das doof."
Carla Kniestedt / Lychen, Uckermark
Tresen oder Rednerpult?
Carla Kniestedt, vielen ist sie ein bekanntes TV-Gesicht. Lange Jahre moderiert sie neben Ulli Zelle u.a. das „rbb-Heimatjournal“. 2019 zieht sie für Bündnis 90/Die Grünen in den Brandenburger Landtag ein. Damit nicht genug. Seit 2015 ist sie nebenbei noch Betreiberin der „Mühlenwirtschaft & Kaffeemühle“ in der ehemaligen Mühle der uckermärkischen Kleinstadt Lychen.
Bitte keine weißen Tischdecken
Die Bezeichnung „Restaurant“ lehnt sie ab – damit verbinden die Einheimischen „weiße Tischdecken“, Schi-Schi. Und genau für die soll der Ort ja sein. „Wirtschaft“ also. Aber mit Qualitätsanspruch durch regionale Bio-Produkte und Handverlesenes von kleinen Produzenten.
Hier fühle ich mich noch unsicher
„Ist noch gewöhnungsbedürftig“, antwortet sie befragt nach der neuen Rolle als Politikerin und Sprecherin am Rednerpult des Landtags. Obwohl als Fernsehmoderatorin routiniert in freier Rede, formuliert sie ihre Beiträge fürs Parlament noch aus. Der Respekt davor, für eine Fraktion, für eine große Gruppe Wähler*innen zu sprechen, ist groß. Es gehe ja nicht darum, dass „ich mit heiteren Texten brilliere und mich selber ganz toll finde“!
© Birgit Bruck
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Der Weg der „literaturfressenden“ Schülerin zum Journalismus
Kniestedt studiert zu DDR-Zeiten. Bevor sie ein Journalismus-Studium beginnen kann, braucht sie eine Volontärstelle. Carla heuert dafür beim zentralen Nachrichtenorgan der DDR an, dem „Neuen Deutschland“. Sie verbringt eigentlich nicht viel Zeit in der Redaktion, „Gott schenkt ihr“, wie sie sagt, „drei Kinder“. Den Ausstieg versucht sie bei der Rückkehr nach dem dritten Kind. Bis zur politischen Wende arbeitet sie als freie Lektorin für Buchverlage.
Mit der Kodderschnauze Geld verdienen
Als Pressesprecherin darf sie das erste Jahr nach der Wende im Warenhaus am Alex verbringen. Mit Übernahme durch den Kaufhof-Konzern verlässt sie das Unternehmen nach einem Jahr. Der Chef ist verwundert, wie die „Ziege aus dem Osten“ auch noch eine Abfindung erstreitet. Ein Kollege rät ihr, mit ihrer „Kodderschnauze“ Geld zu verdienen. Und wo? Na, beim Fernsehen. Sie hat Glück und rutscht durch ein Casting gleich in die Moderation einer Freitagabend-Talkshow. Ohne Erfahrung zwar. Aber mit Potential – so bekundet es ihr das damalige Umfeld, und so beweisen es über 25 Jahre im TV-Geschäft.
Aus der Deckung wagen
Zurück zur Politik: was ist eigentlich die Motivation, die sie antreibt? Auslöser für sie ist die Sorge, dass „sich was ganz Ungutes zusammenbraut in unserem Land“. Die AfD ist dabei ein Symptom, besonders in Brandenburg mit ihren ausgewiesen rechtsextremen Vertretern. „Es nützt ja herzlich wenig, wenn ich immer nur sage, ich find das doof“. Sie wagt sich aus der Deckung und kandidiert. Ohne Parteibuch. Ihre DDR-Erfahrung, als SED-Mitglied „grandios gescheitert zu sein“, führt zu einer distanzierte Haltung gegenüber Partei-Dogmen.
© Birgit Bruck
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Berlin hat als Wohnort für mich abgespielt
Zur Brandenburger Politikerin kann nur werden, wer auch in diesem Land lebt. Uns interessiert, weshalb Carla Kniestedt Berlin irgendwann den Rücken zuwendet. Zu voll, zu viele – vielleicht auch Zugezogene – die ihr „Wichtig-Sein“ vor sich hertragen. Auf jeden Fall kein Ort mehr, der ihr soviel Lebensqualität bietet wie Lychen.
Wasser auf die Mühle
Gemeinsam mit ihrem Mann gründet sie den Verein „Wasser auf die Mühle“, um das größte aber auch eins der charaktervollsten Gebäude Lychens zu retten: die Mühle. Das Gebäude, Ende des 19. Jahrhunderts (neu) erbaut, ist bis Anfang der 1990er Jahre noch als Mühlenbetrieb aktiv – mit 60 Mitarbeitenden. Danach steht es leer, für viele eine Wunde, die an wechselvolle Wendejahre erinnert. Als der Abriss diskutiert wird, schreiten Carla und ihr Verein ein. Mit der Stadt diskutieren sie Nutzungsbedingungen, treiben Fördergelder ein. Es soll ein öffentlich nutzbarer Ort entstehen, für Begegnung und Austausch. Im August 2015 eröffnen die Mühlenwirtschaft und das Café. Erste Schritte, denn das Gebäude hat insgesamt 6.000 qm Fläche. Weitere Nutzungsideen brauchen einen längeren Atem.
Wie meine Mädels die Welt sehen ist schon erhellend
Als „in Maßen verrückt“ bezeichnet Carla Kniestedt ihr Engagement in Lychen parallel zu ihren Full-Time-Jobs. Allerdings sind die Erfahrungen aus der Mühlenwirtschaft bereichernd – vor allem für ihre politische Arbeit. Sie erhält über ihre Mitarbeiterinnen, ihre „Mädels“ wie sie sagt, Einblicke in Lebenswelten, zu denen sie vorher keinen Zugang hat. Zu wissen auf welch anstrengende Weise Menschen ihr Geld verdienen, „erdet“ sie. Kniestedt sieht es als ihre Aufgabe an, die Frauen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Auch dadurch, dass sie sich schützend vor sie stellt, weil sich Gäste mal wieder „unverschämt“ und herablassend verhalten.
© Birgit Bruck
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Der ländliche Raum ist unterschätzt
Für Kniestedt wird der ländliche Raum zu häufig aus der Stadt heraus definiert, ohne den tatsächlichen Lebenswirklichkeiten gerecht zu werden. Weite Teile Brandenburgs seien zum Erholungsraum der Großstädter geworden. Die Brandenburger brauchten deshalb ein stärkeres Selbstbewusstsein, um Entwicklungen aufzuhalten. Um beispielsweise eine größere Balance beim Verkauf von Flächen und Immobilien zwischen Nutzung als Feriendomizil und tatsächlichem Wohnort einzufordern. Viele junge Menschen, die sich beruflich in der Landwirtschaft engagieren wollen, finden nichts Bezahlbares mehr. Laut Kniestedt wird die ländliche Bevölkerung häufig nicht mitgedacht. Gutes Beispiel dafür, Kulturangebote die vor allem für die touristische Saison konzipiert würden. Genau deshalb beginnt ihr eigenes Kulturprogramm in der Mühlenwirtschaft erst im Oktober. Laut Kniestedt ist jetzt die Zeit, in der anders über das Zusammenleben zwischen Zugezogenen und Einheimischen nachgedacht werden muss. Es gehe nicht um Gleichmacherei, sondern um die Schaffung von gleichen Bedingungen für Entwicklung.
Visionen für Brandenburg – meine politische Agenda
Brandenburg in 30 Jahren – die Denk- und Flächenpotentiale, die es jetzt schon gibt, haben ein Vorzeige-Ländle für regenerative Energie, ökologische Landwirtschaft mit regionaler Produkterzeugung, die auch die Brandenburger*innen selbst wertschätzen und kaufen, entstehen lassen. Und es ist gelungen, den Mehrwert von Zuzug auch aus dem Ausland für eine positive Entwicklung des Landes zu nutzen. Bei der Formulierung ihrer Visionen wird deutlich, dass Carla Kniestedt sich damit ihre eigene politische Agenda schreibt.

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