"Dahnsdorf ist ein sehr offenes Dorf. Sie haben eigentlich darauf gewartet, dass jemand kommt mit einer Vision, die er dann auch umsetzt."
Marie Golüke / Dahnsdorf, Potsdam-Mittelmark
Visionärin mit Kuhstall
Mit 16 war er ihr Rückzugsort. Wenn sie mal wieder alleine sein wollte wegen eines gebrochenen Herzens. Heute ist Marie Golüke stolze Besitzerin. Des ehemaligen LPG-Kuhstalls in Dahnsdorf – einem 400-Menschen-Dorf im Hohen Fläming.
Aufgewachsen in dem kleinen beschaulichen Dorf dachte sie schon als Teenager, hieraus müsste man was machen: einen Club, Theater… Zu der Zeit vermutlich eher an einen Jugendclub. Aber romantische Erinnerungen an ihre Jugend waren nicht der Grund für den Kauf. Es sind auch eher zwei Ställe und ein Mittelgebäude als Verbindung. Hier soll mal Wohnraum für die Besitzerin entstehen.
Festival für Freunde
In dem kleinen Ort Dahnsdorf ist sie nicht nur bekannt, weil sie hier, bis sie 20 wurde, gelebt hat. Seit 2013 betreibt sie als künstlerische Leiterin das Festival für Freunde, ein jährlich stattfindendes genre-übergreifendes Kulturfestival, das sich inzwischen bis nach Berlin einen Namen gemacht hat. 2018 platzten die für das Festival genutzten Ställe des Hofs Dahnsdorf, einem denkmalgeschützten Vierseiten-Hof, aus allen Nähten. Die Festivalleiterin suchte nach zusätzlichen Räumen und wurde auf dem Nachbargelände fündig. Der »Theaterstall« wurde dazu gemietet. Wie der Zufall es so will, plötzlich steht er (wieder einmal) zum Verkauf und Marie überlegt nicht lange. Anfang 2020 steht ihr Name als neue Besitzerin des Geländes im Grundbuch.
Stall mit Familiengeschichte
Ihr Vater, eigentlich Berliner, kam mit 20 Jahren nach Dahnsdorf und heiratete eine Einheimische. Er arbeitete als Kuhwirt in den 80ern auf dem Gelände. Zum Schluss leitete er die Ställe sogar. Maries Kaufabsichten stoßen bei der Familie, auch bei ihrem Opa, der sein ganzes Leben im Dorf verbracht hat, auf Unverständnis: »Du kaufst dir da nur Schulden ein!« Doch ähnlich hatten sie auch reagiert, als die damals noch 23-Jährige ein Festival gründen wollte – ohne Geld. Heute sind sie stolz und packen mit an. Marie ist sich sicher, das wird beim Kuhstall auch so sein.
Große Visionen im Kuhstall
Was hast du denn nun vor, fragen wir sie. An einem kühlen November-Vormittag sitzen wir – ein wenig fröstelnd – in einem der unbeheizten Ställe auf den provisorisch hergerichteten Sesseln. Vielleicht fragen wir auch mit leichtem Zweifel in der Stimme …
Sie nimmt uns mit auf ihre visionäre Reise. »Kulturzentrum« ist eigentlich ein Begriff, der ihr nicht gefällt, aber sie hat festgestellt, hierunter können sich die meisten etwas vorstellen. Der Stall, in dem wir sitzen, soll das Theater werden. Spielort aber auch Probenraum für die vielen Theatergruppen in der Umgebung, die keine eigenen räumlichen Möglichkeiten haben. Der auf dem Gelände links stehende Stall wird zur Galerie – für Ausstellungen, Installation. Im Untergeschoss des mittleren Gebäudes steht noch ein alter Milchkessel. Der Raum verfügt über große Fenster und einen eigenen Eingang. Ideal für ein Café. Platz zum Unterstellen von Theater- oder Filmkulissen gibt es überall. Das Gelände insgesamt eignet sich als Location für Foto-/ Filmprojekte. All ihre Erfahrungen, die sie als Festivalkuratorin gemacht hat, sollen in diesen Ort einfließen. Zum Beispiel, dass viele Dorfbewohner wegen des Kinderprogramms kommen. Sie möchten, dass ihre Kinder Bildung genießen. Aber sie kommen auch, weil sie einfach mal Konzerte, eine Party erleben wollen. Die Vision eines Ortes mit Strahlkraft über die Region hinaus entsteht vor unseren Augen. Plötzlich ist uns ein wenig wärmer geworden.
Ich versuch’s mal mit ‘ner Kapitalgesellschaft
Diese Pläne haben nichts mehr mit freier Kulturarbeit zu tun, die mit Fördergeldern ein paar Projekte realisiert. Genau das ist der Reiz für Marie Golüke. Ihr persönliches Ziel ist, von eigenen Projekten leben zu können, nicht für andere arbeiten zu müssen. Das funktioniert nicht mit einem gemeinnützigen Verein und einer Veranstaltung im Jahr: „Also versuch ich’s mal mit ‘ner Kapitalgesellschaft“! Gemeinsam mit einem Partner erschließt sie sich jetzt das unternehmerische Denken, schreibt an einem Businessplan, muss einen dreijährigen Finanzplan erstellen, möchte einen Gründerkredit beantragen. Aber sie gibt auch zu, dass sie sich ein wenig schwer tut.
Das westdeutsche Unternehmergen
Im Laufe des Gesprächs erzählt sie uns, dass sie sich mit Stolz als „Ossi“ bezeichnet. 1988 geboren – ganz knapp noch als DDR-Bürgerin auf die Welt gekommen. Marie beschreibt viel Positives, das sie mit auf den Weg bekommen hat. Ob es die größere Sichtbarkeit von berufstätigen Frauen und damit einem unverkrampfteren Zugang zum Thema Gleichberechtigung ist oder der freiere Umgang mit Nacktsein in der Freikörperkultur. Dennoch sieht sie auch, dass eben unternehmerisches Denken den Ostdeutschen nicht in die Wiege gelegt wurde. In Westdeutschland gab es einfach viel mehr Unternehmerfamilien, damit Vorbilder für die nachwachsende Generation. Wie viele Start-Ups aus Ostdeutschland gibt es? „Aber wir holen auf!“
Eine von hier
Marie ist sich sehr sicher, dass sie – als Rückkehrerin – es leichter hat, hier etwas aufzubauen als andere Zugezogene. Sie hat familiäre Netzwerke, auf die sie zurückgreifen kann. Familie, Freunde arbeiten an Stellen, die sie für den Aufbau des Geländes brauchen kann. Ein Nachbar hat ihr schon Fenster geschenkt. Aber auch acht Jahre Festival machen hat sie verändert. Denn auch sie als studierte Theaterwissenschaftlerin mit Master in Performance Studies lebte in ihrer Kunst-Bubble. Sie zeigt immer noch radikale Kunst, auch ihre eigenen Performances, und dennoch hat sich ihr Programm geöffnet. Sie hat die „Brandenburg-Reihe – Ausbau Ost“ gegründet. Die Veranstaltungen mit regionalen Künstlern sind inzwischen die bestbesuchten. Aber auch Programm mit reinem Unterhaltungswert ist nicht verpönt. Wichtig ist, dass sich die unterschiedlichsten Leute begegnen und ins Gespräch kommen. Ob die Landbevölkerung, die Städter, ob aus Treuenbrietzen oder Stockholm – alle werden gleich behandelt.
Leute aus der Stadt – integriert euch
Marie Golüke beschreibt ihr Heimatdorf Dahnsdorf als sehr offen, viele junge Familien leben hier. Auch die Gemeindevertretung mit ihrem Amtsdirektor ist jung und offen für Veränderung. Hier erfährt sie viel Unterstützung für ihre Pläne. Aber auch die gesamte Region des Hohen Flämings ist eine fruchtbare – hier entstehen viele Projekte, die neues Leben in alte Dörfer hauchen wollen. Das erste Coworking-Space Brandenburg, das Coconat, sei genannt, der Smart Village Preis ist an die Region verliehen worden. Die Nähe zu Berlin ist sicher ein Grund für die Offenheit. Zuzug gab’s hier schon immer.
Doch Marie hat auch eine Empfehlung an die neue Landbevölkerung. Legt eure romantisierende Landvorstellung ab – die Realität ist eine andere. Beschäftigt euch mit den Menschen und deren Themen vor Ort. Legt eure städtische Arroganz ab. Respektiert die Traditionen vor Ort – integriert euch!