© brandenburg.land
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"Die Grenzöffnung und Europa sind schon ein Gewinn ohne Ende."
Karl Lau / Rosow, Uckermark​​​​​​​
Die Kirche nicht nur im Dorf lassen
Es ist nicht zu leugnen: die Familie Lau besitzt eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Heimatdorf. Seit 1680 lebt der väterliche Strang der Familie schon in Rosow. Immer an der selben Stelle. Der Ort ist der letzte Zipfel der Uckermark an der polnischen Grenze. Die polnische Stadt Szczecin liegt nur 14 Kilometer entfernt. Das Bleibe-Gen hat er auch an seine zwei Söhne weitergegeben. Auch die sind geblieben. Inzwischen gibt es ja aber auch wieder Arbeit. Der Älteste hat sich sogar einen kleinen Malerbetrieb mit inzwischen 12 Angestellten aufgebaut. 
Heimweh ist schlimm … und männlich
Befragt nach brandenburgischen Traditionen erklärt Karl Lau uns, dass genau diese Bodenständigkeit – auch seiner Familie – typisch sei für die Dörfer. Das kenne man so in Berlin nicht. Da sagt man: „gut, ich muss jetzt in Hamburg arbeiten, dann fahre ich eben nach Hamburg.“ Undenkbar für ihn. Bodenständig heißt, „hier bleiben wollen“. Sein Vater hätte in den Westen, Karl in die Stadt gehen können. Einmal wagt er es. Er will nicht – wie sein Vater – in der Landwirtschaft arbeiten, deshalb studiert er Maschinenbau in Fürstenwalde. Ungefähr 170 Kilometer von zuhause entfernt. Aber das „Heimweh ist ganz schlimm“. Er geht zurück. Immerhin, in einer Hinsicht hat sich der Weggang gelohnt: er hat seine Frau kennengelernt. 
Übrigens: nach Karl Laus Einschätzung ist das Heimweh bei Männern viel ausgeprägter: „Die sind vielleicht bodenständiger!“
© Burkhard Lau
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© Förderverein Gedächtniskirche Rosow
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Nach der politischen Wende konnte man fast alles machen
Es kann also eigentlich keinen besseren Dorfchronisten geben als Karl Lau. Er erzählt, wie stark die Region schon durch den 2. Weltkrieg verändert wurde. Aber zu DDR-Zeiten liegt der Ort gefühlt „am Ende der Welt“. Wie viele Dörfer bleibt auch Rosow ein durch die DDR-Jahre vernachlässigter Ort. Mit der politischen Wende eröffnen sich plötzlich viele Möglichkeiten. Karl Lau wird hauptamtlicher Bürgermeister – bestimmt durch eine Bürgerversammlung. 
Er bemüht sich um Fördergelder – „Aufschwung Ost“ – Gelder, die ausgegeben werden wollen. „Nach der politischen Wende konnte man fast alles machen!“ Gemeindehäuser werden hergerichtet, die Feuerwehr neu ausgestattet, Straßen saniert. „Man konnte sich richtig austoben“. Auf behördlicher Seite gibt es viele Menschen, die tatkräftig und gewillt sind, unbürokratisch Dinge voranzutreiben. 
Damals 160 Einwohner,  heute 160 Einwohner – ein Erfolg!
„Wir waren ja blauäugig“, Karl Lau und viele Andere gehen davon aus, dass gleich große Gewerbeansiedlungen in den ländlichen Raum kommen. Daraus wird aber nichts. Zeitweise ist es deprimierend. Alles ist neu gemacht, doch die jungen Leute können sie nicht halten. Es gibt keine Arbeit. Viele gehen davon aus, dass die Dörfer aussterben. Doch erhobenen Hauptes sagt Lau: „Damals hatte Rosow 160 Einwohner, und heute sind’s immer noch 160!“ Es gibt auch wieder Kinder, eine Jugendfeuerwehr, alles positive Zeichen. Somit schaut Karl Lau auf seine 25-jährige Bürgermeisterzeit mit einem gewissen Arbeitsethos, vor allem mit Stolz. „Es war gut.“​​​​​​​
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© Burkhard Lau
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© Werner Buzan (Wikipedia)
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Deutsch-polnische Begegnungen
2013 bekommt Karl Lau den brandenburgischen Verdienstorden verliehen. In der Laudatio heißt es: „Wenn inzwischen über 1.000 polnische Bürgerinnen und Bürger im Norden Brandenburgs eine neue Heimat gefunden haben, dann ist das auch der Verdienst solcher Brückenbauer wie Karl Lau.“ Um im Bild zu bleiben, kann die mittelalterliche Feldsteinkirche, die er mit einem eigens dafür gegründeten Förderverein erhalten und mit einem neuen Turm ausgestattet hat, als Brückenkopf betrachtet werden. Die Kirche ist nicht nur Dorfmittelpunkt, sondern zum „Zentrum deutsch-polnischer Versöhnung und Zusammenarbeit“, zu einem deutsch-polnischen Begegnungsort geworden. 2007 wird ein wahrer „Hingucker“ eröffnet, die Kirchtumspitze ist eine 46 Meter hohe, offen gestaltete Stahlkonstruktion geworden – ungewöhnlich im Umfeld brandenburgischer Bodenständigkeit. Manche fragen auch immer noch, „ist der schon fertig?“
Es geht ja um die Zeit, die jetzt kommt
Aber der abgeschiedene ländliche Ort zieht Menschen an. Nicht nur wegen seiner Optik. Die inhaltliche Ausrichtung ist auch ein Grund. Als die Arbeit des Fördervereins beginnt, ist sie fokussiert auf das Thema „Flucht und Vertreibung“. Ein wenig auch persönlichen Umständen geschuldet. Die Mutter von Karl Lau kommt 1945 als Flüchtling in das Dorf Rosow, er wächst auf mit diesem Thema. Sein Interesse dafür ist groß. Er beginnt mit seinen Mitstreitern nach noch lebenden Zeitzeugen zu suchen und interviewt sie. Es ist naheliegend, dass sie nicht nur unmittelbar in der deutschen Region suchen, sondern ihren Blick auch Richtung Polen werfen. Auch dort finden sich viele Vertreibungs-, Umsiedlungsgeschichten. Das erste deutsch-polnische Begegnungsprojekt ist geboren. Um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, braucht es aber eine thematische Öffnung: von Flucht und Vertreibung hin zu Versöhnung und Zusammenarbeit. „Es geht ja um die Zeit, die jetzt kommt“, erklärt Karl Lau.
Eine überregionale Wahrnehmung sei wichtig. Vor allem für das Veranstaltungsprogramm, das der Förderverein jährlich stemmt: von Konzerten, über Ausstellungen bis hin zu Theateraufführungen. Teils in deutscher und polnischer Sprache.  
© Burkhard Lau
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Interkultureller Austausch – ein kompliziertes Thema
Inzwischen haben sich Polen in Rosow und in den umliegenden ländlichen Gemeinden angesiedelt. Besonders zu Zeiten, in denen sich die Immobilienpreise unterschiedlich entwickelten, als die Preise in Stettin beispielsweise explodierten, suchen sich Polen leergezogene Grundstücke auf uckermärkischer Seite. Dass die Polen nun wegen seiner Begegnungsstätte kommen, so weltfremd ist Karl Lau nicht. Aber wenn es in seiner Kirche ökumenische Gottesdienste gibt, sei das natürlich ein Angebot auch für die neuen polnischen Nachbarn. 
So verdienstvoll das Engagement von Lau und seinen Mitstreitern auch ist, so manches stößt dann doch an die Grenzen brandenburgischer Bodenständigkeit. Dass ein polnischer Mitbürger nun einen deutschen Handwerksbetrieb übernehmen soll – angesichts von Fachkräftemangel – das kann er sich nicht so recht vorstellen. Es bleibt einfach kompliziert mit dem interkulturellen Austausch. Wie Karl Lau ganz richtig feststellt, „Man muss diese Beziehungen wollen“! Eine gewisse Distanz sei schon noch da. Obwohl, „Europa ist eben die Zukunft. Anders geht’s ja gar nicht. Es geht doch nur gemeinsam.“​​​​​​​
Nächste Generation – gesucht!
Apropos Zukunft: In spätestens fünf Jahren steht die Frage an, wie geht es weiter mit dem Förderverein. Ein Vorstoß, auch von Jüngeren, mit neuen Ideen sei herzlich willkommen. Also, liebe Hörer*innen, wenn euch zum deutsch-polnischen Austausch etwas einfällt, dann los!
Brandenburg in 30 Jahren
Karl Lau sieht eine entwickelte Metropolregion Berlin-Brandenburg vor sich. Vermutlich wird Rosow aber nicht dazugehören. Aber vielleicht kann sich die Dorfgemeinde zukünftig entscheiden, ob sie zur Metropolregion Szczecin oder Berlin gehören will. Wie auch immer: „die Grenzöffnung und Europa sind ein Gewinn ohne Ende“.
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