"Wir müssen die Leute mit ins Boot holen. Das schaffen wir auch noch."
Hardy Krahl / Paretz, Havelland
Von der Schwierigkeit des Miteinanders
Hartmut "Hardy" Krahl ist gebürtiger Sachse. In der Nähe des Elbsteingebirges wächst er auf, beginnt seine Berufstätigkeit. Er arbeitet „in der Plastikblume“. Seine Heimatregion – obwohl ländlich – hat zu DDR-Zeiten eine funktionierende Industrie. Er arbeitet in dem Segment, das u.a. Plastikblumen hergestellt. Er fährt die Produkte quer durchs Land aus. Dann kommt die Wende und wie vielen anderen ereilt auch Hardy das Schicksal, seine Arbeit zu verlieren. Fabriken werden aufgelöst. Er macht sich auf Richtung Süddeutschland, probiert unterschiedliche Jobs aus. Auch er fühlt sich von den Westdeutschen ausgenommen.
Neue Perspektiven für Hardy
Irgendwann fährt er dann große LKWs. Er liebt es, auf „dem Bock“ zu sitzen: „ich habe Diesel im Blut“. Seine Fahrten führen ihn bis in die Ukraine. Es verschlägt ihn ins Havelland, nach Paretz. Der Ort, wo seine Mutter bereits seit vor der Wende lebt. Dort transportiert er große Windkraftanlagen durchs Land. Doch auch diese Firma meldet Insolvenz an. Schlussendlich ist er arbeits- und ein wenig orientierungslos. Er beginnt im Paretzer Schloss eine Art Minijob als Hausmeister.
Und dann tritt Frau Dr. Helga Breuninger in sein Leben. Die Stuttgarterin ist die Tochter der bekannten Warenhausfamilie. Ein Zufall führt sie in das Dorf Paretz, sie verliebt sich in den Ort. Sie bleibt. Gemeinsam mit ihrem Mann gründet sie die Stiftung Paretz, um nach und nach leerstehende Immobilien zu erwerben und zu sanieren, die zu einem Campus der Begegnung und Weiterbildung ausgebaut werden. Der Ort soll Ausrichtungsstätte für Veranstaltungen von Firmen, NGOs, auch mit internationalem Publikum werden. Aber auch ein Angebot für die Menschen aus der Region.
Hardy begegnet ihr und ihrem Mann bei ihren ersten Besuchen im Dorf und bringt sich gleich ins Gespräch als potentieller Hausmeister. Ein Mann wie er, der die lokalen Begebenheiten kennt, die meisten Einwohner und gleich in der Nähe wohnt, kaum eine bessere Wahl denkbar.
Jetzt kommen die Schlipsträger
Doch das Dorf empfängt die Stifterin und ihre Vorhaben nicht gleich mit offenen Armen. Hardy Krahl spricht von einem geteilten Dorf. Unmut macht sich breit: „Jetzt kommen die Schlipsträger“, die mit dem S auf ihren Auto-Kennzeichen. Wer beispielsweise die Paretzer Scheune kennt, ausgebaut zu einem multifunktionalen Veranstaltungsort, wundert sich vielleicht, wieso es Jahre braucht, bis der Ort angenommen wird. Hardy Krahl versucht sich zu erinnern, wie die Kritik formuliert wird. Die Bewohner fühlen sich zum einen ohne Mitspracherecht, es wird ihnen einfach etwas vor die Nase gesetzt. Sie wollen eigentlich ein Bürgerhaus. Zum anderen irritiert das internationale Gästeaufkommen im Dorf. Es laufen plötzlich Asiaten, Schwarze, Menschen mit Turban durch die idyllischen Straßen.
Als Konsequenz führt die Stiftung Bürgergespräche ein, bei denen es anfangs hoch hergeht. Über die Zeit beruhigt sich die Stimmung. Angebote für die Einwohner*innen wie Nähcafés, Tanztees, Filmabende oder der jährliche Scheunen-Weihnachtsmarkt stoßen zwar immer noch auf unterschiedliche Resonanz. Krahl beobachtet aber, dass Bürger*innen inzwischen auch eigene Vorschläge machen, um die Scheune zu nutzen. Z.B. gibt es eine Theatergruppe, die Bürgerbühne, die regelmäßig hier probt.
Positiv aufgenommen wird auch der Stiftungsaufruf, dass die Einwohner Zimmer anbieten können, um Gäste der Stiftung unterzubringen.
Arbeit und Leben ist eins
Hardy Krahl erzählt uns, wie sehr sich sein Leben durch das Arbeiten bei der Stiftung verändert hat. Zum einen hat sich aufgrund der Nähe zu seinem Arbeitsplatz Leben und Arbeiten ineinander verwoben. Er schaut auch schon mal am Sonntag nach dem Rechten. Zum anderen hat er gelernt mit anderen Menschen, im Team zu arbeiten. Eigentlich ist er gewohnt, alleine im Führerhaus zu sitzen, neben ihm sein Hund, von A nach B zu fahren, ohne viel Ansprache. Das hat sich nun in den letzten 10 Jahren geändert.
Inoffizieller Bürgermeister
So bezeichnet ihn manch einer hier. Denn er kennt alle, weiß viel. Doch offiziell zur Wahl stellen – nein, das ist nichts für ihn. Dafür, dass er früher nicht viel geredet hat, ist er in Sachen Stiftung inzwischen sehr kommunikativ. – Er sieht es als seine Aufgabe an, die Leute ins Boot zu holen. Immer noch gibt es die, die hetzen. Aber die, die neu zuziehen, vor allem die müssen überzeugt werden: „Das schaffen wir auch!“
Rampengespräche
Wie steht’s denn ansonsten mit der Dorfgemeinschaft, wollen wir wissen. Ja, früher, da hat man viel miteinander geredet. Z.B. dort, wo die Leute ihre tägliche Milch vom Bauern holten, an den Rampen. Heute gibt’s weniger Gelegenheiten. Es kommt nur einmal in der Woche der Bäckerwagen. Aber das Interesse bei den Zugezogenen sei auch gar nicht mehr so groß. „Jeder macht seins“. Solange sie zum Filmabend kommen und dort ins Gespräch kommen, soll es Hardy recht sein.
Wie geht’s weiter?
Wie sieht Hardy Krahl Paretz in 30 Jahren? „Von unten“, scherzt er. Krahl ist überzeugt, dass das Dorf nur noch schöner wird.