"Ich will nur, dass man wieder den Mut fasst, kritische Meinungen nicht gleich abzutun oder weg zu agitieren, sondern sich mit denen auch auseinandersetzt und denen auch zuhört."
Mathias Hohmann / Premnitz, Havelland
Vom Betriebsbesetzer zum Geschäftsführer
Auf der Suche nach Menschen, die das Land Brandenburg bewegen, ging kaum ein Weg an Mathias Hohmann vorbei. Er erlangte eine gewisse Berühmtheit als „Betriebsbesetzer von Premnitz“. Wir besuchten ihn in seinem Büro, einem herrschaftlichen Gebäude, das ganz klassisch an eine alte Industriellenvilla erinnert. Mitten im schönen Havelland gelegen.
Wer ist nun dieser Mann? Geboren und aufgewachsen in dem kleinen Städtchen Rathenow findet er in den 1980er Jahren wie viele andere aus der Umgebung seine Arbeit an dem nur ein paar Kilometer entfernten Chemiestandort in Premnitz. Heute ein beschaulicher Ort mit ca. 9.000 Einwohnern, zu DDR-Zeiten eine bedeutende Industrieansiedlung mit gut 7.000 Beschäftigten.
Ich war jung und hatte nichts zu verlieren
Diesen Standort ereilte ein ähnliches Schicksal wie viele andere der ehemaligen DDR: Anfang der 1990er übernahm die Treuhand, es kam zur Privatisierung und Umwandlung in die Märkische Faser AG. Der junge Schlosser Hohmann erkannte schnell die Wichtigkeit der Gewerkschaften: „Das Hauptproblem, dass niemand da war, der die Leute aus der DDR beschützt hat. Den gab’s nicht!“
Er ließ sich zum Betriebsratsvorsitzenden wählen. Als 1992 Massenentlassungen drohten, organisierte er eine Betriebsbesetzung von sage und schreibe 73 Tagen. Mit diesem beispiellosen Durchhaltevermögen und der Geschlossenheit der Belegschaft hatte niemand gerechnet. Auch die Androhung, ihn für den Umsatzausfall in Millionenhöhe persönlich haftbar zu machen, konnte Mathias Hohmann nicht aufhalten: „Ich war jung und hatte nichts zu verlieren!“
Eine zusätzliche Demütigung
Der politische Widerstand mit Demonstrationen in Berlin, Potsdam und Bonn führte zu hoher medialer Aufmerksamkeit und setzte den kleinen Ort im Havelland auf die Agenda der Regierenden. Ein ausgeklügelter Sozialplan rettete viele in den Vorruhestand. Weitere 500 Mitarbeiter*innen wurde in eine neu gegründete Auffanggesellschaft überführt, als deren Geschäftsführer Hohmann berufen wurde. Sie wurden mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Arbeit gehalten. Die Aufgabe der ersten Jahre mochte allerdings ein wenig zynisch anmuten. Die Kollegen mussten ihre eigenen Industrieanlagen und viele in der Umgebung bis nach Mecklenburg zurückbauen, verschrotten. Ganze Landstriche der ehemaligen DDR wurden deindustrialisiert. „Eine zusätzliche Demütigung,“ die tief sitzt.
Ca. 1500 Leute wurden weiter in der Märkischen Faser AG beschäftigt. Durch die Schließung des Viskose-Betriebs verloren jedoch weitere hunderte Menschen ihre Arbeit. Die Märkische Faser AG wurde nach ihrer Insolvenz in die Märkische Faser GmbH umgewandelt und beschäftigt heute über 500 Mitarbeiter. Durch die Ansiedelung neuer Betriebe sind heute rund 1500 Menschen am Standort beschäftigt. Ebenso weiterhin die rund 500 ABM-Kräfte in der von Mathias Hohmann geführten Arbeitsförderungsgesellschaft.
Entleerung ländlicher Regionen
„im Grunde war jeder, zumindest fast jeder in seiner sozialen Entwicklung, in seiner sozialen Existenz bedroht, weil er seinen Arbeitsplatz verliert.“ Mit der Zerstörung vieler Arbeitsplätze begann die große Abwanderung der jüngeren Arbeitskräfte. Hohmann nennt es das „Abfließen von Menschen“. Und diese Entleerung der ländlichen Regionen ist noch heute spürbar. Denn inzwischen herrscht Fachkräftemangel.
Deshalb braucht der ländliche Raum seiner Meinung nach noch mehr Aufmerksamkeit und Förderung. Natürlich sei eine reizvolle Landschaft ein wichtiges Kriterium für die Auswahl eines Arbeitsplatzes, aber es brauche dringend einen Ausbau der Infrastruktur. Ob öffentlicher Nahverkehr, Kitabetreuung etc. Dann sieht er Potential für eine wie er sagt, „gesunde Entwicklung“, die sich nicht aus Frust heraus ins Extreme treiben lässt.
Über den Mut, sich mit kritischen Meinungen auseinanderzusetzen
In der Diskussion um ländliche Regionen vermisst Hohmann manchmal ein Verständnis für die Lebensbedingungen und -gewohnheiten. „Ich will nur, dass man wieder den Mut fasst, kritische Meinungen nicht gleich abzutun oder weg zu agitieren, sondern sich mit denen auch auseinandersetzt und denen auch zuhört ... Wer sagt, dass die, die aus der Stadt kommen, immer recht haben.“
Wir haben Mathias Hohmann übrigens kennengelernt, weil er 2018 bei unserer Theaterproduktion "Sommer in Brandenburg“ eine wichtige Rolle in der Bürgerbühne übernommen hatte. Irgendwie ein Mann mit vielen Talenten.
Erste Kommentare von Hörer*innen zu dieser Episode*
"Sehr schön. Manche Passagen sind mir aus Seele gesprochen.👍"
"... Danke für den Beitrag. Ich fand das sehr interessant und wichtig, was ich auch immer sage, dass diese ganzen Erinnerungen und Ereignisse um und nach der Wende für unsere jüngere Generation nicht verloren gehen. Besonders interessant fand ich auch den letzten Teil, wo Du ins Politische gehst, sehr gut auf den Punkt gebracht, hast Du gut gemacht ..."
"... Das war ein ganz toller Beitrag von Ihnen, sehr authentisch! Ich habe die zweite Besetzung erlebt und viele Parallelen erkannt!!! Man wünscht sich , dass viele Menschen den Beitrag hören!"
"👍👍👍Total interessant, zwischendurch Gänsehaut, auch mal Tränen, und unser neuer Berliner Nachbar, der eine neue Berliner Mauer gebaut hat, wurde auch sogar erwähnt 😘. Inzwischen hat er im angrenzenden Naturschutzgebiet Pfosten einbetoniert und wirft seinen ganzen Gartenabfall in die Gegend des Überflutungsgebietes. Solche wollen wir nicht, aber was mache ich? Zeige ich ihn an, schikaniert er uns noch mehr - sage ich nichts, dann schäme ich mich."
"Ich habe keine Langeweile und wollte nur mal kurz reinhören, woraus nichts geworden ist. Es war das schönste Interview was ich von dir gehört habe ... Nein, ich kann es nicht in Worte fassen, wie ich es meine. Die Zeit von damals und der Wechsel zu den Problemen der heutigen Zeit ..."
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